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22.4.2021 - Wolfgang Heumer

Wie die NASA mit Bremer Technologie zum Mond fliegt

Luft- und Raumfahrt

Technologie aus Bremen treibt die Rückkehr zum Mond voran

Taxi zum Mond:
Das US-Raumschiff Orion soll wieder Menschen zum Mond bringen. Das Servicemodul unterhalb der Kapsel für die Crew wird in Bremen gebaut. © Airbus

Es sieht aus wie ein riesiger Zylinder: rund vier Meter hoch und vier Meter im Durchmesser. Sein Name ist ESM 3 und es ist ein zentraler Baustein in der neuen Mondlande-Mission Artemis der US-Raumfahrtbehörde Nasa. ESM steht für „European Service Module“, und mit einem kräftigen Raketenmotor am Heck wird es in drei Jahren das „Orion“-Raumschiff der Nasa antreiben und vier Menschen zur ersten Landung auf dem Mond seit 1972 bringen. Dass dabei erstmals eine Frau ihren Fuß auf den Mond setzen wird, ist nicht die einzige Premiere dieser Reise in ein neues Raumfahrtzeitalter. Das ESM ist das erste systemkritische Bauteil eines großen Nasa-Projekts, das die Behörde außerhalb der Vereinigten Staaten entwickeln und fertigen lässt. Gebaut wird es in Bremen.

„Die Amerikaner haben erkannt, dass es weder technologisch noch finanziell sinnvoll ist, solche Großvorhaben im Alleingang zu umzusetzen“, sagt René Kleeßen, Programmdirektor Raumfahrt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Nach einem Prototyp und dem Modul für den ersten Testflug haben bei Airbus Defence and Space in Bremen die Arbeiten an der entscheidenden Nummer drei begonnen.

Lieferwagen zur Versorgung künftiger Mondstationen

Seit Jahren gehören Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bremen zum unverzichtbaren Expertenteam in der weltweiten Raumfahrtszene. Das Columbus-Labor als europäischer Beitrag für die Internationale Raumstation ISS, der Raumtransporter ATV zur Versorgung der ISS, Satelliten sowie die Oberstufe für die europäische Trägerrakete Ariane: Diese in Bremen entstandenen Projekte haben die Hansestadt zu einem der größten Raumfahrtstandorte der Welt wachsen lassen. Und nun greift Bremen nach dem Mond.

Nachdem der ESM-Bau schon fast so etwas wie Routine geworden ist, zeichnet sich das nächste Großprojekt ab. Bereits zum Ende dieses Jahrzehnts soll der „European Large Logistic Lander“ (EL3) als erstes großes europäisches Raumfahrzeug auf dem Mond aufsetzen und dort als lunarer Lieferwagen das Material für eine künftige Mondstation abladen. Ein erstes Konzept entsteht derzeit bei Airbus in Bremen: „Wir müssen neue Konstruktionswege gehen, um möglichst viel Nutzlast und Treibstoff mitführen zu können“, sagt Thomas Diedrich, der bei Airbus Defence and Space die Zukunftsprojekte im Bereich „Space Exploration“ (Erforschung des Weltraums) verantwortet.

Der „European Large Logistic Lander“ (EL 3) soll künftige Mondstationen mit Material versorgen. Das Konzept entsteht derzeit in Bremen.
Der „European Large Logistic Lander“ (EL 3) soll künftige Mondstationen mit Material versorgen. Das Konzept entsteht derzeit in Bremen. © Airbus

Europäisches Bekenntnis zur Weltraumforschung

Der Materialtransporter für Langzeitmissionen auf dem Erdtrabanten ist mehr als ein komplexes technisches Werk. Er ist auch ein europäisches Bekenntnis zur Weltraumforschung. „So wie die Ariane 6 uns den unabhängigen Zugang zum All garantiert, soll der ‚Large Logistic Lander‘ Europa den Zutritt zum Mond garantieren“, erläutert Kleeßen. Die europäische Mondmission wird jedoch ausschließlich robotisch sein. „Unsere finanziellen Mittel reichen nicht aus, um Menschen zum Mond zu bringen“, sagt Bernado Patti, der in der europäischen Raumfahrtagentur ESA die ISS sowie die Erkundung des Alls managt. Für eine bemannte Mission „müsste unser Budget fünfmal so groß sein“.
Die europäische Trägerrakete Ariane 6, deren Oberstufe in Bremen entwickelt und gebaut wird, spielt eine entscheidende Rolle bei der künftigen europäischen Mondmission: „Wir wollen den Lander mit der Ariane 6 zum Mond bringen“, sagt Patti. Das bedeutet: EL3 darf einen Durchmesser von 4,5 Meter haben und maximal sechs Meter hoch sein; sein Gewicht ist auf 8,5 Tonnen beschränkt. So viel kann die mit vier Boostern verstärkte Ariane 6 bis zum Mond tragen.

Auto-Stoßstange als Vorbild für Mond-Landetechnik

Das Gewichtslimit, die gewünschte Nutzlast von bis zu 1,7 Tonnen und der notwendige Treibstoff für den Weg bis zur Mondoberfläche stellen die Bremer Raumfahrtingenieurinnen und Ingenieure vor besondere technologische Herausforderungen. „Anders als der Mars verfügt der Mond über keine Atmosphäre, die bei der Landung eine bremsende Wirkung hätte“, erläutert Diedrich. Deshalb muss das Raketentriebwerk des Landers als Bremse genutzt werden. Das erfordert sehr viel Treibstoff, dessen Gewicht aber nicht die Menge der möglichen Nutzlast verringern darf. „Wir müssen neue Wege gehen, um das Leergewicht des Landers deutlich zu reduzieren“, so Diedrich.

Für die Lösung der Aufgabe sind Ideen im Detail erforderlich. Statt das Aufsetzen auf der Mondoberfläche wie bei den alten Apollo-Mondfähren der Amerikaner mit schweren Federbeinen abzufangen, wollen die Bremerinnen und Bremer ein Prinzip anwenden, das in den 1970er Jahren eigentlich für kräftige Autostoßstangen entwickelt wurde. „Wir denken an ähnliche Waben-Strukturen, die sich verformen und dann in die Ursprungsform zurückkehren können“, so Diedrich.

Endspurt zum Mond: In Bremen hat die Fertigung des dritten „European Service Modules“ (ESM 3) begonnen, mit dem die Nasa das erste Mal seit 1972 wieder Astronauten zum Mond bringen will.
Endspurt zum Mond: In Bremen hat die Fertigung des dritten „European Service Modules“ (ESM 3) begonnen, mit dem die Nasa das erste Mal seit 1972 wieder Astronauten zum Mond bringen will. © Airbus

Raketen-Triebwerk aus dem 3-D-Drucker soll Kosten senken

Auch der Antrieb des Mondtransporters könnte einen engen Bezug zu Bremen haben. Die ArianeGroup baut derzeit ein komplett neues Triebwerk namens „Berta“, das eigentlich für die am Standort Bremen entwickelte dritte Stufe der Ariane 6 bestimmt ist. Das Besondere an „Berta“: Teile des Raketenmotors könnten aus dem 3-D-Drucker kommen und deswegen deutlich kostengünstiger zu fertigen sein.

Doch die eigentliche technologische Herausforderung steckt in der Steuerung des Landers: Seinen Abstieg zum Mond aus dessen Umlaufbahn und die Auswahl des geeigneten Landeplatzes innerhalb eines zuvor definierten Gebiets wird das Fahrzeug autonom ohne Eingriffsmöglichkeit von außen vornehmen. Das Raumfahrtteam von Airbus in Bremen hat sich durch die Entwicklung des automatischen Raumtransporters ATV zur Versorgung der ISS für das Lander-Projekt qualifiziert. Jetzt fügen die Expertinnen und Experten künstliche Intelligenz hinzu, denn das Landegefährt muss sich beim Abstieg aus der Mondumlaufbahn auf die Mondoberfläche in Sekundenschnelle entscheiden. „In hundert Metern Höhe anhalten und in Ruhe überlegen - das geht leider nicht“, macht Diedrich klar.

Tankstelle aus Bremen für den Rastplatz im All

Für die Astronautinnen und Astronauten geht die Mondlandung dagegen vergleichsweise gemächlich zu. Die Crews künftiger Mondstationen werden zunächst eine Art Rastplatz im All ansteuern. In diesem „Lunar Gateway“ sollen sie dann in einen „Zubringerbus“ zur Oberfläche des Trabanten umsteigen. An diesem Außenposten für Expeditionen zum Mond sind Bremer Ingenieurinnen und Ingenieure des Raumfahrtunternehmens OHB Systems beteiligt. Im Auftrag des französisch-italienischen Technologiekonzerns Thales-Alenia arbeiten sie am Tankmodul „Esprit“, das die Raumfahrzeuge mit Treibstoff versorgen soll. Das Lunar-Gateway wird wohl erst zum Ende dieses Jahrzehnts Wirklichkeit werden, dann aber eine besondere Rolle in der internationalen Raumfahrt bekommen: Nach den Vorstellungen der Nasa kann es auch der Ausgangspunkt bemannter Missionen zum Mars werden.

Für die europäische Raumfahrtagentur ist aber vor allem der Mond interessant. Dafür geht die ESA immer wieder Tauschgeschäfte mit der Nasa ein. Das in Bremen gebaute Modul ESM ist die Gegenleistung für Europas Beteiligung an der internationalen Raumstation. Der „European Large Logistic Lander“ EL 3 könnte sogar ein noch wichtigeres Gegengeschäft einbringen: einen Platz in der amerikanischen Mondfähre. „Es ist möglich, dass wir noch in diesem Jahrzehnt einen europäischen Astronauten auf den Mond bringen“, sagt ESA-Spezialist Bernado Patti.
 

Pressekontakt:
Ralph Heinrich, Airbus Defence and Space, Head of News & Media Relations Space Systems, Tel.: +49 89 3179 9797, E-Mail: ralph.heinrich@airbus.com
Günther Hörbst, OHB Sytem AG, Leiter Unternehmenskommunikation, Tel.: +49 421 20209438, E-Mail: guenther.hoerbst@ohb.de
Kirsten Leung, Pressesprecherin ArianeGroup, Tel.: +49 421 4372 5326, E-Mail: kirsten.leung@ariane.group
 
Bildmaterial:
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Foto 1: Taxi zum Mond: Das US-Raumschiff Orion soll wieder Menschen zum Mond bringen. Das Servicemodul unterhalb der Kapsel für die Crew wird in Bremen gebaut. © Airbus
Illustration: Der „European Large Logistic Lander“ (EL 3) soll künftige Mondstationen mit Material versorgen. Das Konzept entsteht derzeit in Bremen. Illustration/© Airbus
Foto 2: Endspurt zum Mond: In Bremen hat die Fertigung des dritten „European Service Modules“ (ESM 3) begonnen, mit dem die Nasa das erste Mal seit 1972 wieder Astronauten zum Mond bringen will. © Airbus
 
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