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26.10.2021 - Janet Binder

Mit Soldatenfliegen das Klima retten

Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft

Start-up Farmcycle will mit Insekten Nutztierfutter klimafreundlicher machen

Amir Mehmedović, Norman Breitling und Florian Berendt (von links) sitzen am Eingang des 70 Meter langen Containerschlauchs, in dem die Fliegenlarven in Kisten gemästet werden.
Amir Mehmedović, Norman Breitling und Florian Berendt (von links) sitzen am Eingang des 70 Meter langen Containerschlauchs, in dem die Fliegenlarven in Kisten gemästet werden. © WFB/Lehmkühler

Im „Lovecage“ herrschen 30 Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von 70 Prozent. Ein solches Klima mag die Schwarze Soldatenfliege. Die Insekten – mit zwei Zentimetern Länge deutlich größer als die Gemeine Stubenfliege – schwirren in Massen um eine LED-Lampe, sitzen auf von der Decke hängende Tarnnetze oder auf Holzplatten. Der Name „Liebeskäfig“ kommt nicht von ungefähr: In dem sechs mal drei Meter großen Raum in einer Halle in Bremen-Hemelingen sollen die Fliegen Eier legen – und zwar sehr, sehr viele. Mit den Fliegen will das Bremer Start-ups Farmcycle seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dafür gab es bereits die Nominierung für den Bremer Umweltpreis 2021.

Hochwertiges Protein aus Fliegenlarven

„Wir stellen aus organischen Reststoffen hochwertiges Protein für die Tierernährung her – ohne lange Transportwege“, sagt Geschäftsführer und Agraringenieur Florian Berendt (33). Zusammen mit Norman Breitling (41) und Amir Mehmedović (41) gründete er 2020 das Unternehmen, das inzwischen acht Beschäftigte in der Hansestadt hat.

Deutschland führte 2019 rund 3,6 Millionen Tonnen Soja ein

Nutztiere wie Schweine und Hühner brauchen Proteine im Futter. In der Regel werden diese in Form von Soja oder Fischmehl ins Futter gemischt. Deutschland importiert nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung rund 26 Prozent des im Tierfutter enthaltenen Eiweißes – einen Großteil davon als Soja – aus Südamerika und den USA. Im Jahr 2019 führte Deutschland laut Statistischem Bundesamt rund 3,6 Millionen Tonnen Soja ein. Das sorgt immer wieder für Kritik, da für den Anbau artenreiche Lebensräume zerstört werden und die langen Transportwege für einen hohen CO2-Ausstoß sorgen.

Die Larven wachsen zehn bis 15 Tage auf einem Substrat aus organischen Abfällen. Danach sind sie groß genug und werden getrocknet.
Die Larven wachsen zehn bis 15 Tage auf einem Substrat aus organischen Abfällen. Danach sind sie groß genug und werden getrocknet. © WFB/Lehmkühler

Fliegenlarven wachsen schneller als Mehlwürmer

Auch Fischmehl, vor allem aus Peru und Chile, wird als Eiweißlieferant für Tierfutter verwendet. Es ist wegen der Überfischung der Meere nicht nur umstritten, sondern auch teuer. Im August 2021 entschied die Europäische Kommission daher, Insektenproteine in Schweine- und Geflügelfutter zuzulassen. Einige Insektenproduzenten existieren bereits in Europa, experimentiert wird auch mit Mehlwürmern. „Die Larven von der Schwarzen Soldatenfliege wachsen aber deutlich schneller als Mehlwürmer“, sagt Norman Breitling, der in Bremen auch eine Werbeagentur betreibt. „Nach zehn bis 15 Tagen können wir sie ernten.“

Larven fressen sich an organischen Abfällen dick und rund

Das Start-up Farmcycle setzt in seiner Bremer Pilotanlage auf eine regionale Kreislaufwirtschaft: Damit die Larven schön dick und groß werden, liegen sie in Kisten mit einem Brei aus organischen Abfällen – also Obst, Gemüse, Kaffee, Biertreber oder Molkereiprodukten. Es sind Produkte aus der Region, die auf dem Großmarkt, im Bio-Einzelhandel oder auf dem Wochenmarkt nicht mehr verkauft werden konnten und die sonst in der Biogasanlage gelandet wären. „Im besten Fall bekommen wir sogar Geld dafür, dass wir die organischen Abfälle abnehmen“, sagt Florian Berendt.

Betriebe liefern Lebensmittelreste

Kooperationen bestehen etwa mit zwei Bremer Brauereien, die Biertreber liefern und mit einer Bio-Supermarktkette. „Wir haben deutschlandweit Anfragen von Unternehmen“, sagt Norman Breitling. Das gelte sowohl für die Verwertung von Restabfällen als auch für die Nachfrage nach den Larven. Für die Mast werden die Larven in den „Bioreaktor“ gebracht – das ist ein 70 Meter langer Containerschlauch, der auf dem Hof steht. „Die Idee ist, dass die Larvenproduktion künftig auch dezentral vor Ort in den landwirtschaftlichen Betrieben erfolgt und sie dann zur Verarbeitung auf die Farm in Bremen gebracht werden“, sagt Florian Berendt.

Larven dienen auch als Fettlieferant

Sind die Larven groß genug, werden sie vom Substrat getrennt und getrocknet. Larven haben einen hohen Protein- und Fettanteil. „Mit der Ernährung kann gesteuert werden, wie hoch er ist“, so Berendt.  Verkauft werden könnten daher sowohl ganze Larven als auch das separierte Fett, das als Ersatz für Palm- oder Fischöl eingesetzt werden könnte. Das Substrat, das aus den Ausscheidungen der Larven und den Abfallresten besteht, kann als Dünger in der Landwirtschaft verwertet werden. Private Tests liefen jedenfalls schon erfolgversprechend: „Ich habe damit bei mir zu Hause meine Paprikapflanzen gedüngt, die sind explodiert“, berichtet Norman Breitling.

Die Schwarze Soldatenfliege wird im „Lovecage“ gehalten.
Die Schwarze Soldatenfliege wird im „Lovecage“ gehalten. © WFB/Lehmkühler

Auch für Haustierfuttermarkt interessant

Nach Auffassung der Gründer sind die Fliegenlarven aber nicht nur als Proteinquelle in Futter für Schweine und Geflügel interessant, sondern auch für Haustiere. „Wir haben bereits Interessenten von großen Produzenten“, sagt Breitling. Auch für Igelfutter seien die Larven interessant. „Der Markt dafür ist nicht zu unterschätzen“, sagt Breitling. Für seine nachhaltige Produktion hat das Unternehmen die Naturland-Zertifizierung vom Verband für ökologischen Landbau bekommen. „Wir sind einer der ersten Insektenbetriebe in Europa mit Naturland-Standard“, sagt Breitling. „Damit sind wir für alle Bioproduzenten interessant.“

Gründer lernten sich auf Bremer Start-up-Event kennen

Die Jung-Unternehmer stehen nun in den Startlöchern, in großem Stil zu produzieren. Ein Standort für eine 50.000 Quadratmeter große Produktionshalle wird gesucht. Das Gründungsklima in Bremen loben die drei ausdrücklich. „Ich habe mit 21 meine erste Firma gegründet“, sagt Breitling. „Seitdem hat sich sehr viel getan, in Bremen gibt es inzwischen sehr viel Unterstützung für Start-ups und eine sehr gute Vernetzung.“ Er verweist auf das Starthaus Bremen, die Initiative Bremen Startups oder auch die Bremer Aufbaubank. „So haben Florian und ich uns auch kennengelernt: Auf einem Start-up-Event in Bremen“, erzählt Breitling. Florian Berendt hatte 2020 das Start-up „EntoSus“ gegründet. Das Unternehmen produziert und verkauft geröstete Grillen als knusprige Eiweiß-Snacks in drei Geschmacksrichtungen. Norman Breitling sieht Bremen ganz weit vorn bei Innovationen im Bereich Klimaschutz und hat eine Vision: „Warum sollten wir nicht von Bremen aus die Welt verändern?“, sagt er.

Pressekontakt:
Norman Breitling, Geschäftsführer Farmcycle, Tel.: 0172 4516604, E-Mail: n.breitling@farmcycle.de
Florian Berendt, Geschäftsführer Farmcycle, Tel.: 0174-7849570, E-Mail: f.berendt@farmcycle.de

Bildmaterial:
Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Amir Mehmedović, Norman Breitling und Florian Berendt (von links) sitzen am Eingang des 70 Meter langen Containerschlauchs, in dem die Fliegenlarven in Kisten gemästet werden. © WFB/Jens Lehmkühler
Foto 2: Die Larven wachsen zehn bis 15 Tage auf einem Substrat aus organischen Abfällen. Danach sind sie groß genug und werden getrocknet. © WFB/Jens Lehmkühler
Foto 3: Die Schwarze Soldatenfliege wird im „Lovecage“ gehalten. © WFB/Jens Lehmkühler
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Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalisten für Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Journalistinnen und Journalisten den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen.
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