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25.8.2020 - Reinhard Wirtz

Das ECOMAT – ein technologischer Meilenstein

ECOMAT / Leichtbau

Die Hansestadt hat wesentliche Schlüsseltechnologien in der Airport-Stadt Bremen gebündelt.

Reduziert, aber wiedererkennbar: Das markante Äußere des Ecomat
Reduziert, aber wiedererkennbar: Das markante Äußere des Ecomat © WFB/Huthmacher

Innovationspolitik zielt darauf ab, den kontinuierlichen Strukturwandel in Industrieunternehmen, im Mittelstand sowie bei den unternehmensnahen Dienstleistern zu unterstützen. Dabei kommt der Förderung von zukunftsträchtigen Schüsseltechnologien eine herausragende Bedeutung zu. Bestimmte Technologien spielen dabei Hand in Hand, zum Beispiel die Additive Fertigung/der 3D-Druck, der Leichtbau und die Bionik. Die in Bremen stark ausgeprägten Innovationscluster Luft- und Raumfahrt, Automotive und Maritime Wirtschaft bieten ein besonderes Potenzial für Additive Fertigung/3D-Druck, aber auch in der Medizintechnik und in der Ernährungswirtschaft ergeben sich interessante Anwendungsmöglichkeiten.

Mit dem Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT hat Bremen die vorhandenen Kompetenzen von Wirtschaft und Wissenschaft rund um den Leichtbau und die hiermit verknüpften weiteren Schlüsseltechnologien, vor allem die Additive Fertigung, in der Airport-Stadt gebündelt. Gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen öffnet sich hier ein Zugang zu Schlüsseltechnologien, mit denen sie ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit stärken können.

Erstklassige Zutaten

Zugegeben: Leicht war der Weg zum Leichtbau-Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT nicht. Unzählige Planungs- und Abstimmungsrunden, eine komplexe Bauphase, ein fliegender Start im Mai 2019 – egal, Schnee von gestern. Was zählt, sind Engagement und Motivation, die im „Center for Eco-efficient Materials & Technologies“ schon bald nach dem Einzug unter den hochkarätigen Nutzern spürbar wurden. Ein bisschen ist es hier wie beim Kochen: Erstklassige Zutaten erhöhen die Chancen für ein wohlschmeckendes Gericht.

Das Technikum im Ecomat
Das Technikum im Ecomat © WFB/Ginter

Vom ersten Spatenstich (April 2016) bis zur Eröffnung (April 2019) vergingen gerade einmal drei Jahre, ein kurzer Zeitraum für ein 73 Millionen Euro-Investment mit einer Nettogrundfläche von 21.800 Quadratmetern. „Die Fachwelt hat das ECOMAT als Ausnahmegebäude registriert“, resumiert Dr. Bernd Haustein, Abteilungsleiter Immobilien und Bau, rückblickend. Er hielt gemeinsam mit Architekt Heiko Latos und einer Handvoll Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die H.A.G.E. Grundstücksverwaltungsgesellschaft mbH als Bauherrin – eine Tochter der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH – schon das Heft in der Hand, als es um die europaweiten Ausschreibungen für das Projekt ging. Vorbilder, an denen man sich hätte orientieren können, gab es nicht. Funktionen, Strukturen und Kosten mussten – teils in Verständigung mit den künftigen Mietern – vorab festgelegt werden, ohne das gewünschte Endresultat genau einschätzen zu können.

Die Infrastruktur

Center for Eco-efficient Materials & Technologies
ECOMAT Airport-Stadt Bremen
 Cornelius-Edzard-Straße 15
 28199 Bremen

  • Nettogrundfläche: circa 21.800 Quadratmeter (Labore, Technikum und Büro) auf 4 Stockwerken, davon circa 11.500 Quadratmeter Miet- und Nutzfläche sowie circa 10.300 Quadratmeter Technik-, Verkehrs- und Gemeinschaftsflächen;
  • Ankermieter: Airbus Operations GmbH, TESTIA GmbH, Ariane Group, Faserinstitut Bremen e. V.  (FIBRE) und  Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR);
  • Weitere Mieter aus Forschung und Wissenschaft: Fraunhofer - Institut  für Fertigungstechnik und  Angewandte Materialforschung IFAM,  Leibniz-Institut für  Werkstoff-orientierte Technologien (IWT);
  • Rund 500 Experten und Expertinnen diverser Fachrichtungen und Wissenschaftsdisziplinen.

Airbus: Neue Kooperationen in neuer Umgebung

Airbus gehört mit dem Tochterunternehmen TESTIA GmbH sowie der Ariane Group (Raumfahrt) zu den größten Ankermietern im ECOMAT. 311 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Airbus und circa 30 bis 40 TESTIA-Beschäftigte widmen sich im neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum zentralen Projekten und Aufgaben des Flugzeugbauers.

„Wir haben im ECOMAT zwei große Standbeine, die Material- und Prozessentwicklung und das Testing, dafür arbeiten hier etwa 250 Personen. Hinzu kommen circa 60 Personen für die Entwicklung neuer Hochauftriebssysteme, also neuer Technologien für den Flügel der Zukunft“, umreißt Dr. Hubertus Lohner die Ausrichtung von Airbus im ECOMAT.

Hubertus Lohner, Vorstand im ECOMAT e.V., der die gemeinsamen Interessen der ECOMAT-Mitglieder vertritt
Hubertus Lohner, Vorstand im ECOMAT e.V., der die gemeinsamen Interessen der ECOMAT-Mitglieder vertritt

Lohner leitet die Airbus-Aktivitäten vor Ort und hat schon die Planungen und den Umzug begleitet. Zentrale Zukunftsthemen, an denen auch zuvor schon gearbeitet worden sei, würden im ECOMAT mit Nachdruck weiter verfolgt: alternative Antriebe, ein nachhaltiger Flugzeugbetrieb sowie die Simulation und Modellierung des Flugzeugentwicklungszyklus‘. Mit der Nähe zur Raumfahrtsparte von Airbus Defence & Space böten sich besonders bei den Tank- und Verteilungssystemen sowie bei den dafür notwendigen Materialien und Zulassungsprozessen wertvolle Perspektiven für eine Konzentration und Bündelung der Aktivitäten vor Ort.

Um Synergieeffekte geht es auch in der Zusammenarbeit mit Partnern im neuen Bremer Technologie- und Forschungszentrum. Die Nähe zu den Partnern im ECOMAT sei sehr wichtig, betont Lohner. Diverse Kooperationsverträge seien bereits abgeschlossen worden, unter anderem mit dem Fraunhofer-Institut. Gegenstand sei die gemeinsame Nutzung von Equipment, Personal und Laboren. Gleiches werde derzeit mit dem Leibnitz-Institut, dem Faserinstitut und dem DLR angebahnt.

„Wir wollen in ganz enger Kooperation mit den Partnern arbeiten. Wir lernen aus dem praktischen Alltag, dass Synergien zu heben sind, und dass der direkte Kontakt vor Ort uns allen die Arbeit deutlich erleichtert.“

Dr. Hubertus Lohner (Airbus), Leiter und Koordinator im ECOMAT

Die Zivilflugzeugsparte von Airbus beschäftigt in Deutschland rund 19.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, mit rund 2.300 Beschäftigten im Zivilflugzeugbau ist der Standort Bremen neben Hamburg, Stade und Buxtehude der zweitgrößte in Norddeutschland.

Plattform für zahlreiche Fachdisziplinen: Das Virtual Product House

Dass das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt im ECOMAT nun quasi Tür an Tür mit Airbus residiert, könnte folgerichtiger kaum sein. Das DLR fokussiert sich dort auf Projekte im Kontext des „Virtual Product House“ (VPH). In enger Zusammenarbeit mit Partnern aus Industrie, Wissenschaft und Behörden entsteht mit dem VPH ein Integrations- und Testzentrum für die virtuelle Simulation und Zulassung von Flugzeugkomponenten und Technologien.

„Die DLR-Strategie zur virtuellen Zulassung zielt darauf ab, Zeit und Kosten für Zulassungsversuche durch ergänzende virtuelle Flug- und Bodentests zu reduzieren. Außerdem sollen durch die durchgängige Digitalisierung effizientere Entwicklungsprozesse für innovative und umweltfreundliche Flugzeuge ermöglicht werden“, umreißt Dr. Kristof Risse, VPH-Leiter, Programmdirektion Luftfahrt, den Ansatz des anspruchsvollen Vorhabens.

Modernste Maschinen und Anlagen gehören zum ECOMAT-Inventar
Modernste Maschinen und Anlagen gehören zum ECOMAT-Inventar © WFB/Ginter

Langfristige Vision sei es, so Risse, das Zulassungsverfahren vollständig durch Simulationen zu realisieren. Dieses Ziel zähle zu den Leitkonzepten des DLR-Luftfahrtprogramms. Es umfasst im DLR-Ansatz die virtuelle Abbildung des Flugzeugs mit all seinen Eigenschaften entlang seines gesamten Lebenszyklus‘, von der kleinsten Einzelkomponente bis hin zum Gesamtflugzeug.

Im VPH arbeiten Experten und Expertinnen aus verschiedenen DLR-Instituten und Fachdisziplinen (z. B. Aerodynamik, Struktur, Systeme und Softwareentwicklung) zusammen. Das gilt auch für Kooperationen mit Partnern der Luftfahrtindustrie (Airbus, Liebherr Aerospace und weitere) sowie mit Universitäten (Universität Bremen), Zulassungsbehörden (EASA) und der Softwareindustrie (SAP). Das VPH-Startprojekt konzentriert sich auf den Anwendungsfall einer Flügelklappe und wird durch das Land Bremen und den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) gefördert.

Auch Labore sind Teil des ECOMAT
Auch Labore sind Teil des ECOMAT © WFB/Ginter

Beste Bedingungen für das Faserinstitut Bremen (FIBRE)

Leicht, stabil und ressourcenschonend – Leichtbau ist eine grundsätzliche gute Strategie für viele Produkte. Moderne Faserverbundwerkstoffe, eine Werkstoffklasse, in der hochfeste Fasern und Kunststoffe kombiniert werden, nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. Das Faserinstitut Bremen (FIBRE) erforscht und entwickelt seit 1969 diese und andere Materialien. Das eigenständige Institut, das zwei Hauptstandorte im Forschungszentrum ECOMAT und an der Bremer Universität unterhält, kann dabei gleichzeitig auf die Expertisen des Composite Technology Center (CTC) in Stade und seines Faserlabors an der Bremer Baumwollbörse zurückgreifen.

In Kooperationen mit Airbus und Partnern aus der Luftfahrttechnik wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Firma TESTIA und dem Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien (IWT) arbeiten knapp 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an neuen und verbesserten Bauteilen für Flugzeuge, wie zum Beispiel einer Landeklappe in neuer Bauweise, an Flugzeugfensterrahmen und leichteren Komponenten für den Flugzeuginnenraum. Hinzu kommen Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften für Anwendungen in der Raumfahrt. Inzwischen ist rund die Hälfte der FIBRE-Beschäftigten im ECOMAT tätig.

„Ein besonders spannender und kreativer Aspekt der Arbeiten ist der Transfer der Werkstoffe und der dazugehörigen Technologien in Produkte anderer Branchen und Märkte. Das können zum Beispiel Crash-absorbierende Elemente für Kleinflugzeuge sein, Orthesen und Komponenten für Sportwagen oder auch Landmaschinen.“

Christoph Hoffmeister, Verfahrensingenieur am FIBRE

Konsequent umgesetzt werden konnte die Vorgabe im ECOMAT-Konzept, im neuen Forschungs- und Entwicklungszentrum neben den Ankermietern weitere Akteure anzusiedeln, darunter auch klein- und mittelständische Firmen, wirtschaftsnahe Dienstleister und renommierte wissenschaftliche Institute mit Bezügen zu den hier konzentrierten Schlüsseltechnologien. Allen Beteiligten sollen Türen geöffnet werden für regen Austausch, Transfers und Kooperationen „mit kurzen Dienstwegen“. Zu den Mietern im ECOMAT zählen daher auch Firmen, Organisationen und Institutionen wie die Altran Deutschland S.A.S. & Co. KG (Luft- u. Raumfahrt), Aviaspace Bremen e.V. (Luft- u. Raumfahrt), die BK Werkstofftechnik – Prüfstelle für Werkstoffe GmbH, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) GmbH, die F&E Technologiebroker Bremen GmbH, die InnoWi GmbH (wirtschaftsnahe Dienstleistungen), P3 Voith Aerospace GmbH, die Premium AEROTEC GmbH, die PRIME aerostructures GmbH (Luft- u. Raumfahrt) und ebenso die Universität Bremen .

Für Veranstaltungen oder Seminare steht ein eigener Raum bereit - das ECOMAT versteht sich als eine Gemeinschaft
Für Veranstaltungen oder Seminare steht ein eigener Raum bereit - das ECOMAT versteht sich als eine Gemeinschaft © WFB/Ginter

Wesentlicher Baustein in der norddeutschen Luftfahrt und Materialforschung

Im ECOMAT hat zusammengefunden, was voraussichtlich in Kooperation und Austausch eine spektakuläre Dynamik entfalten wird: Leichtbau, Additive Fertigung/3-D-Druck, Materialforschung, Bionik und Sensorik. Industriepartner, mittelständische Unternehmen sowie renommierte Institute aus Forschung und Wissenschaft haben die Fäden inzwischen hier in die Hand genommen und gestalten gemeinsam neue Strukturen für zukunftsträchtige Verfahren und Produkte, die das Gesicht vieler Branchen verändern werden.

Das ECOMAT ist ein wesentlicher Baustein in der norddeutschen Luftfahrt und für die Materialforschung, bei dem sich alles um neue Entwicklungen in der Schlüsseltechnologie Leichtbau, um innovative Materialien und Oberflächentechnologie dreht. Das Forschungs- und Technologiezentrum ist integraler Bestandteil der „Strategie für Industrie und Innovation Land Bremen 2030“ sowie ein Realität gewordener Teil der Vision „Zukunft Bremen 2035 – Ideen für morgen“. Die Bündelung der Stärken im ECOMAT macht die hier konzentrierten Bremer Kompetenzen international sichtbar. Ein kraftvolles Signal der Freien Hansestadt Bremen und ein klares wirtschaftspolitisches Bekenntnis zu Innovation und Kreativität.

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