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12.3.2018 - Astrid Labbert

Mit dem Eis-Maulwurf außerirdischem Leben auf der Spur

Wissenschaft

Bremer Informatiker entwickeln Algorithmen für Raumfahrtmission – und testen sie in den Alpen

Dass Bremer Informatiker auf einem Gletscher in den norditalienischen Alpen arbeiten, kommt nicht so häufig vor. Joachim Clemens von der Universität Bremen wird das zusammen mit Kollegen im Sommer tun. Sie testen dort autonome Sonden, die eines Tages auf dem kleinen Saturnmond Enceladus eingesetzt werden könnten.

Bremer Wissenschaftler suchen außerirdisches Leben: Joachim Clemens (l.) und Nils Oehlmann mit dem Roboter im Labor.
Bremer Wissenschaftler suchen außerirdisches Leben: Joachim Clemens (l.) und Nils Oehlmann mit dem Roboter im Labor. © WFB/Focke Strangmann

Silbergrau leuchtet der Saturnmond Enceladus im schwarzen Nichts, wie Pocken zeigen sich Krater auf der Oberfläche des Planeten: Die Aufnahme der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa ist beeindruckend. Informatiker Joachim Clemens von der Universität Bremen zeigt auf eine Stelle nahe dem Südpol. Dort ziehen sich blaue Streifen über die Oberfläche des eisbedeckten Planeten. „Man ist sich inzwischen ziemlich sicher, dass unter der Eisfläche Wasser ist“, erläutert Clemens. „Und das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Leben, wie wir es kennen.“ Tigerstreifen nennen die Wissenschaftler sie. Und seit dort aktive Eisgeysire entdeckt wurden, ist das weltweite Forscherinteresse an dem im Durchmesser nur 500 Kilometer kleinen Planeten sehr gestiegen.

Fernziel: eine Mission zum Planeten Enceladus

Auch die deutsche Raumfahrt will mehr erfahren und hat das Ziel, eine Mission zur Erkundung des Enceladus zu starten. Im Rahmen der so genannten EnEx-Initiative des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird daran geforscht – unter anderem an der Uni Bremen. Gemeinsam mit fünf Bremer Kollegen sowie Kollegen an fünf weiteren deutschen Hochschulen und Universitäten entwickelt der 33-jährige Joachim Clemens eine Sonde weiter, die sich eines Tages bei den „Tigerstreifen“ durchs Eis schmelzen und aus dem darunter vermuteten Ozean Wasserproben ziehen soll. Das Projekt wird mit rund 770.000 Euro vom Bundeswirtschaftsministerium für drei Jahre gefördert.

Der „Eis-Maulwurf“ wird weiterentwickelt

Derzeit ist die Sondenentwicklung in der zweiten Phase: Der etwa zwei Meter lange „Eis-Maulwurf“ wurde bereits in einem Verbundprojekt gebaut und in der Antarktis sowie in italienischen Alpen erfolgreich getestet: Eine Wasserprobe konnte 2015 frei von Kontamination gezogen werden. Seither geht es darum, die Sonde zunehmend autonom agieren zu lassen. Denn bei einer Mission auf einem fremden Planeten muss das System selbstständig die Umgebung erkennen, sich orientieren und flexibel auf Situationen und örtliche Begebenheiten reagieren können. Für Informatiker wie Clemens heißt das, Problemerkennung, Problemlösungen sowie Entscheidungsprozesse zu automatisieren. Unter der Leitung von Professorin Dr. Kerstin Schill ist die Gruppe „Kognitive Neuroinformatik“, in der auch Clemens arbeitet, für die Positionsbestimmung sowie Kartierung von Hindernissen zuständig. Eine zweite Bremer Arbeitsgruppe kümmert sich um die Steuerung.

Die Universität beteiligt sich an einem Projekt zur Navigation im Eis auf dem Saturn-Mond Enceladus, den Nils Oehlmann (l.) und Joachim Clemens auf dem Bildschirm betrachten.
Die Universität beteiligt sich an einem Projekt zur Navigation im Eis auf dem Saturn-Mond Enceladus, den Nils Oehlmann (l.) und Joachim Clemens auf dem Bildschirm betrachten. © WFB/Focke Strangmann

Verhalten und Entscheidungen in Algorithmen abbilden

Die Forscher sitzen dafür an ihren Rechnern und entwickeln Algorithmen. Ihre Arbeit erfordert in mehrfacher Hinsicht Abstraktionsvermögen. Zum einen geht es darum, Bewegung und sichere Orientierung im Raum in mathematische Gleichungen und Codes aufzulösen – oft dient die menschliche Orientierung dafür als Modell. Zum anderen ist die Sonde gar nicht vor Ort, sondern bei den Projektpartnern in Aachen, die parallel an der Verbesserung der Technologien arbeiten. Um Algorithmen zu testen, wird deshalb im Bremer Labor ein Laptop auf einem kleinen Roboter auf Rädern montiert. Lenkung, simultane Lokalisierung und Kartierung werden so in „Miniszenarien“ getestet: Die Wissenschaftler können im Labor genau beobachten, ob die Algorithmen zum gewünschten Ergebnis führen und wenn nicht, wo und wann sie abweichen. Dann heißt es: korrigieren, anpassen, wieder testen.

Der nächste Test führt die Forscher mit Steigeisen in die Alpen

Ernst wird es beim nächsten Feldtest im August: Dann wird der Algorithmus auf einem Gletscher in Norditalien wieder unter Extrembedingungen getestet. „Wir haben jetzt mehr Sonden, die sich mit nach unten schmelzen“, beschreibt Clemens die besondere Herausforderung. Ein ganzes Netzwerk autonomer Sonden wird sich mit ins Eis schmelzen, um bessere Daten zur Lokalisierung zu liefern. Beim ersten Gletschertest 2017 kamen sieben Sonden zum Einsatz, jetzt werden es 13 sein: Damit erhöhen sich Komplexität und Datenmenge. „Meine Aufgabe ist, die Daten aller Sensoren zu nehmen und auf dieser Basis die Berechnung von Position und Lage zu ermöglichen“, sagt Clemens. Alle weiteren Aktionen bauen darauf auf. „Im Feldtest wird sich zeigen, was wir geleistet haben. Wir wollen den Algorithmus validieren.“

Geduld ist gefragt

Rund drei Wochen werden Wissenschaftler aus Bremen, Braunschweig und Aachen auf dem Gletscher sein, um mehrtägige Tests im Eis zu machen. Dabei ist Geduld gefragt, denn eine Sonde hat eine Schmelzgeschwindigkeit von rund einem Meter pro Stunde. Der Alpentest ist ein Höhepunkt für die Wissenschaftler, wissenschaftlich wie auch persönlich: Mit Steigeisen geht es auf 3.200 Meter Höhe, eine Gletscherausbildung ist obligatorisch. „Es können wohl nur wenige Informatiker von sich sagen, auf einem Gletscher zu arbeiten“, bestätigt Clemens. Ihm kommt die Kombination insbesondere zupass: Ein Hobby des Robotikers ist das Klettern.

Joachim Clemens mit Eispickel und Steigeisen.
Joachim Clemens mit Eispickel und Steigeisen: Im August geht es für den Informatiker auf den Gletscher. © WFB/Focke Strangmann

In der Raumfahrt gelten andere Zeit-Dimensionen

Im Herbst wird das Projekt zu Ende sein. „Wir wünschen uns natürlich, dass es weitergeht, denn es gibt noch einiges zu erforschen“, sagt Clemens. Vom Endziel, der Mission zum Enceladus, ist man dann noch immer ein gutes Stück entfernt. Wann sie einmal starten könnte? Manche Prognosen gingen von 20 Jahren aus, so der Wissenschaftler. Fest steht: In der Raumfahrt gelten andere Dimensionen. Die Mission der Nasa-Sonde Cassini zum Beispiel, die die eindrucksvollen Bilder des Enceladus schoss, brauchte fast sieben Jahre, um überhaupt die Umlaufbahn des Saturns zu erreichen. Erst dann begann die Erkundung.

Auch für irdische Szenarien einsetzbar

Warum das alles? Für Informatiker wie Clemens geht es vor allem darum, komplexe Probleme zu lösen. Die Algorithmen ließen sich in jedem Fall auf irdische Szenarien wie dem Einsatz von robotischen Systemen nach

Naturkatastrophen anwenden, betont er. Aber natürlich gehe es auch um Erkenntnisgewinn: „Es ist doch interessant zu wissen, ob wir die einzigen Lebewesen in unserem Sonnensystem sind.“

Pressekontakt:

Joachim Clemens, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik an der Universität Bremen, Tel.: +49 421 218 642 18, E-Mail: jaycee@informatik.uni-bremen.de


Weitere Informationen zum Luft- und Raumfahrtstandort Bremen finden Sie hier auf unserer Seite.


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Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Bremer Wissenschaftler suchen außerirdisches Leben: Joachim Clemens (l.) und Nils Oehlmann mit dem Roboter im Labor. © WFB/Focke Strangmann

Foto 2: Die Universität beteiligt sich an einem Projekt zur Navigation im Eis auf dem Saturn-Mond Enceladus, den Nils Oehlmann (l.) und Joachim Clemens auf dem Bildschirm betrachten. © WFB/Focke Strangmann

Foto 3: Joachim Clemens mit Eispickel und Steigeisen: Im August geht es für den Informatiker auf den Gletscher. © WFB/Focke Strangmann


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