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8.4.2022 - Jann Raveling

Was Bremer Unternehmen vom beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien erwarten

Windenergie

Gesetzesnovellen im EEG und WindSeeG und die Auswirkungen auf Bremen

Wind2Grid - WIndpark
Der Ausbau von Windenergie und Solar soll in den nächsten 13 Jahren massiv ansteigen. © pixabay

Die Energiewende beschleunigen – das ist ein zentrales Koalitionsvorhaben der Bundesregierung. Denn Strom aus Wind und Sonne schützt nicht nur das Klima, sondern sichert auch die Unabhängigkeit von Rohstoffen wie Öl und Gas.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat im April drei Gesetze vorgelegt vorgelegt, die die Förderung und den Ausbau von erneuerbaren Energien neu ordnen. Sie betreffen das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG), die beiden maßgeblichen Gesetzeswerke für die regenerative Energieversorgung, außer dem ein Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts.

Die drei Werke setzen dabei durchaus ambitionierte Ziele. So soll bis 2030 80 Prozent der Bruttostromerzeugung aus Erneuerbaren Energien stammen, bis 2035 sollen es bis zu 100 Prozent sein.

Das wäre eine Verdopplung der bisherigen Erzeugung innerhalb von nur acht Jahren – denn heute entstehen rund 42 Prozent des Stroms aus vor allem Wind, Sonne und Biomasse. Ein Wert, für den Deutschland bisher rund 20 Jahre gebraucht hat.

Ausbaupläne angehoben

Um innerhalb der nächsten 13 Jahren komplett klimaneutral Strom zu erzeugen, müssen Photovoltaikanlagen und Windparks in Deutschland daher massiv ausgebaut werden. Die Gesetzesentwürfe geben bereits genaue Korridore vor. So soll an Land die Windenergie-Leistung von derzeit 56 Gigawatt auf 67 Gigawatt bis Ende 2024 und 115 Gigawatt bis Ende 2030 steigern. Ein Zuwachs von rund 50 Prozent gegenüber den bisherigen Ausbauplanungen.

Auch die Photovoltaik soll von derzeit 56 Gigawatt auf bis zu 215 Gigawatt steigen – eine Vervierfachung in acht Jahren. Ähnlich sieht die Lage auf See aus, wo die Offshore-Windenergie gefördert wird. Hier sind 30 Gigawatt bis 2030 geplant, beinahe eine Vervierfachung der derzeitigen acht Gigawatt, und weitere 40 Gigawatt bis Ende 2045.

Wie enorm diese Zahlen sind, zeigt ein Blick auf die Vergangenheit: 2021 wurden an Land ganze zwei Gigawatt an Windkraft zugebaut, im bisherigen Rekordjahr 2017 waren es immerhin 5,3 Gigawatt.

Vereinfachungen in Genehmigungsverfahren geplant

Um diese Zuwachszahlen zu ermöglichen, begleiten zahlreiche neue Regularien die Gesetzesentwürfe, die den Zubau von Wind- und Solarstrom einfacher gestalten sollen. Laut WindSeeG liegt die Errichtung von Anlagen "im überragenden öffentlichen Interesse und dient der öffentlichen Sicherheit" (§1), was die besondere Bedeutung der EE für die Energiepolitik Deutschlands unterstreicht. So soll es Vereinfachungen im Planungsrecht, im Natur- und Artenschutzrecht und in Genehmigungsverfahren geben. Auch im Bereich Solar erleichtern neue Regelungen die Aufstellung von Anlagen sowohl im privaten als auch gewerblichen Bereich.

Schon beschlossen ist der Wegfall der Umlage der Einspeisevergütung über den Strompreis, hier soll der Bundeshaushalt künftig für Subventionen aufkommen. Gleichzeitig ändert sich das Vergütungsmodell für Betreibende auf ein sogenanntes Differenzmodell, das Strom nur dann finanziell bezuschusst, wenn er unter einem gewissen Marktpreis liegt. Bei einem höheren Ertrag muss die Differenz abgeführt werden.

Bremen als Hub für die Windkraftindustrie engagiert

Der Wind- und Solarbranche kommen diese neuen Ausbauziele und Regularien natürlich entgegen. Als Pionier in der Windenergie kann das Bundesland Bremen im besonderen Maße von den neuen Gesetzeswerken profitieren. Bremerhaven ist ein international anerkanntes Innovationszentrum der Offshore-Windenergiebranche. Und die Stadt Bremen hat ihre Schwerpunkte bei der Planung und Projektierung sowie dem Betrieb und der Instandhaltung von Windparks an Land und auf See. Bremer Unternehmen bieten zudem Solaranlagen und Speicher an.

Wir haben einige Bremer Unternehmen und Netzwerke gefragt, wie sie den geplanten Ausbau der EE sehen:

wpd AG: „Abbau von Hemmnissen entscheidend“

Windkraftanlage
Offshore, Onshore und Solar - die wpd AG ist weltweit mit ihren Projekten aktiv. © pixabay

Eines dieser Unternehmen ist die wpd AG. Als weltweit agierende Entwicklerin und Betreiberin von Windparks an Land und auf See sowie von Solarprojekten beschäftigt das Unternehmen heute weltweit 3.200 Angestellte. Christian Schnibbe, Head of Communication, Marketing & PR, sieht die neuen Gesetzesregelungen positiv für den Standort Bremen: „Klare Rahmenbedingungen und Perspektiven sind für Branchen und Unternehmen entscheidend. Das gilt natürlich gleichermaßen für die Vielzahl an Unternehmen in Bremen und Bremerhaven, die im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig sind. Insofern ist die Priorisierung des EE-Ausbaus durch die Bundesregierung ein positives Signal für die Bremer Wirtschaft.“

Er erwartet aber auch klare Vorgaben: „Die bisher vorliegenden Entwürfe gehen überwiegend in die richtige Richtung. Entscheidend für das Erreichen dieser Ziele sind aber differenzierte Rahmenbedingungen, die später im sogenannten Sommerpaket geregelt werden sollen. Hier wird es um den Abbau von Hemmnissen, die Schaffung einer verlässlichen Regelung im Bereich Natur- und Artenschutz, Beschleunigung von Genehmigungen, die Bereitstellung von Flächen und weitere Fragen gehen, die bislang einen verstärkten Ausbau der Erneuerbaren Energien blockiert haben. Diese Weichenstellungen werden am Ende entscheidend dafür sein, ob wir die notwendige Dekarbonisierung der Wirtschaft schaffen und gleichzeitig den Wirtschaftsstandort Deutschland nachhaltig stärken.“

WAB e.V.: „Jedes Jahr mehr Ausbau als im Rekordjahr 2015 – das bietet große Chancen“

Heike Winkler, Geschäftsführerin der Bremerhavener WAB e.V.
Heike Winkler, Geschäftsführerin der Bremerhavener WAB e.V. © WAB

Dem pflichtet auch Heike Winkler, Geschäftsführerin der Bremerhavener WAB e.V. bei. Der WAB ist ein Branchennetzwerk der Windenergie mit über 250 Mitgliedsunternehmen aus ganz Deutschland.

„Die neuen Ziele für die Windenergie auf See und für ‘grünen’ Wasserstoff bieten sehr große Chancen für die Region. Künftig muss jedes Jahr bis 2045 im Schnitt mehr ausgebaut werden als im bisherigen Rekordjahr 2015. Dafür brauchen wir neue industrielle Kapazitäten“, führt sie aus.

„Bremerhaven könnte als Küstenstandort mit einer schwerlastfähigen Hafen-Infrastruktur besonders von der integrierten Sektorenkoppelung von Offshore-Windenergie und ‘grünem’ Wasserstoff profitieren. Rückbau und Recycling von Offshore Windkraftwerken bieten ein weiteres Potenzial für Bremerhaven und Bremen – bei vorhandener Infrastruktur. Hinzu kommt die weitere Wertschöpfungskette für den Service und das Repowering sowie die angewandte Forschung.

Schwerlastfähige Hafenstandorte werden die entscheidende Drehscheibe für Nachhaltigkeit im Ausbau der Windenergie auf See und die damit verbundene Beschäftigung und Wertschöpfung. Die meist mittelständisch geprägte Lieferkette wird nur von der Energiewende auf See profitieren können, wenn sie sich an so ertüchtigten Küstenstandorten ansiedeln kann. Das gilt auch für Ansiedlungen aus dem Ausland. Die für die Energiewende notwendige Infrastruktur geht weit über Stromtrassen und wasserstofffähige Gaspipelines hinaus. Häfen- und Werftstandorte haben künftig eine strategische Bedeutung, um Klimaschutz mit Wertschöpfung und Beschäftigung zu verbinden. Diese Chance sollten wir im Land Bremen ergreifen!“

Die WAB e.V. setze sich dafür ein, dass die Politik im Sinne der Akzeptanz und auf der Grundlage industriepolitischer Erwägungen auch für Wertschöpfung und Beschäftigung im Heimatmarkt sorge.

„Daher erwarten wir im Sinne unserer Mitglieder eine Gesetzgebung, die heimische Wertschöpfung wenigstens nicht belastet, die maritime Industrie mit all ihrem Know-how und ihrer Erfahrung zum Zuge kommen lässt und auch eine entstehende Wasserstoffwirtschaft nicht verhindert. Hier sehen wir auf der Grundlage des aktuellen Referentenentwurfs Optimierungspotenzial und hoffen, dass unsere Hinweise vor dem Kabinettsbeschluss Berücksichtigung finden. Der jetzt eingeschlagene Ausbaupfad geht definitiv in die richtige Richtung.“

Tractebel DOC Offshore: „Umdenken in Deutschland – das Silicon Valley der Offshore-Windenergie nutzen“

Managing Director Oliver Spalthoff, Tractebel DOC Offshore GmbH
Managing Director Oliver Spalthoff, Tractebel DOC Offshore GmbH © DOC

Wenn es darum geht, die ambitionierten Ziele der Bundesregierung umzusetzen, wird auch die Tractebel DOC Offshore GmbH mit dabei sein. Das Bremer Unternehmen hat seit 2009 umfangreiche Expertise im Bereich von Offshore-Windparkprojekten ausgebaut und beteiligt an einem Großteil aller Windparks mit seinen breiten Dienstleistungen im Bereich Engineering, Management, Personal oder dem Chartern von Spezialschiffen.

Managing Director Oliver Spalthoff glaubt an eine gute Ausgangsposition für den Standort: „Mittlerweile haben Naturereignisse, politische Veränderungen sowie kritische energiewirtschaftliche Abhängigkeiten zu einem Umdenken in Deutschland geführt. Diese Chance muss Bremen und die Region nutzen, um neben bestehenden Unternehmen auch wieder für die Ansiedlung zusätzlicher Unternehmen der Wertschöpfungskette interessant zu sein. Die deutsche Nordsee wurde mal als ’Silicon Valley’ für die Offshore Windenergie bezeichnet. Bremen und Bremerhaven haben daher immer noch hervorragende Ausgangspositionen, um insbesondere vom Ausbau der Offshore Windbranche zu profitieren.“

Gleichzeitig sieht er aber auch den großen Wettbewerb, dem sich der Standort Deutschland stellen muss: „Deutschland wird sich hinsichtlich Komponenten (Windanlagen, Energieseekabel, Stahlbau, Schiffe zur Errichtung etc.) und erfahrenem Personal im Wettbewerb mit anderen Ländern in Europa oder auch mit Asien oder den USA wiederfinden. Ob die Industrie schnell genug weitere Kapazitäten aufbaut, wird sich zeigen und muss auch politisch gefördert und genehmigungsrechtlich erleichtert werden.“

 

swb AG: „Planungssicherheit schaffen für Anwendung von Wasserstoff in industriellem Maßstab“

Das Kraftwerk der swb in Mittelsbüren
Der Energieversorger swb ist kontinuierlich auf der Suche nach CO2-armen Lösungen - zum Beispiel Wasserstoff © swb AG

Neben Wind und Solar wird künftig Wasserstoff als Energieträger eine wichtige Rolle spielen, um Industrie und Haushalte klimaneutral mit Energie zu versorgen. Für die Entwicklung einer Wasserstoffinfrastruktur engagieren sich derzeit im Norden Institutionen wie auch Unternehmen. Dazu gehört zum Beispiel die die neue Geschäftsstelle Wasserstoffwirtschaft des Landes Bremen (PDF, S.5). Sie initiiert, koordiniert und implementiert Aktivitäten zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Bremen und Bremerhaven.

Und auch die bremische Energieversorgerin swb AG ist hier aktiv. In verschiedenen Projekten entwickelt sie derzeit Elektrolysekapazitäten und eine tragfähige Infrastruktur. Alexander Hessse, Head of Media der swb, sieht die Möglichkeit, dass durch die neuen Gesetze das Thema Wasserstoff deutlich an Fahrt gewinnen könnte: „Das Land Bremen könnte damit eine wichtige Säule der europäischen Wasserstoffwirtschaft werden. Die geographische Lage mit den Häfen und der Nähe zur See und der bereits in Teilen vorhandenen Infrastruktur für den Transport und die Speicherung ist dafür ideal. Die neuen Gesetze haben das Potenzial, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu beschleunigen und uns unabhängiger von Importen fossiler Energieträger zu machen. Wenn zum Beispiel die EEG-Umlage wegfällt, hat das eine positive Auswirkung auf die Wirtschaftlichkeit von Projekten. Beispielsweise im zukunftsträchtigen Bereich Wasserstoff.“

Er wünscht sich dabei eine langfristige Perspektive: „Diese neuen gesetzlichen Regelungen sollten in jedem Fall langfristig angelegt sein, um zum Beispiel der Anwendung von Wasserstoff in industriellem Maßstab wie bei der Stahlherstellung oder im Mobilitätssektor auch über einen längeren Zeitraum Planungssicherheit zu geben. Wir brauchen ein ganz klares politisches Statement pro Wasserstoff und eine verlässliche Rahmengebung für Investitionssicherheit.“

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